Gründungsgeschichte der VBSt Lysistrata

Die Idee, eine Verbindung für Studentinnen zu gründen, wurde beim Frühschoppen des 115. Stiftungsfestes des Corps Teutonia im WSC auf deren Hause geboren. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Zum festen Kern der Initiatorinnen gesellten sich auch drei junge Frauen, die zum einen nicht ortsansässig waren, und zum anderen nicht die Voraussetzungen (Studium) einer Mitgliedschaft erfüllten. Zwei von ihnen waren schon beim Konstitutionstermin nicht mehr dabei und schieden dann schon bald aus.

Am 18. Juli 1985 war es endlich so weit: Die Verbindung Berliner Studentinnen Lysistrata hatte sich konstituiert. Hierzu hatten sich eigens fünf junge Frauen – von denen heute noch vier der Verbindung als Hohe Damen angehören – auf einem Corpshaus in Friedenau getroffen, um sich einen Namen, Zirkel, Farben und eine Satzung zu geben. Obwohl dieser Schritt Außenstehenden als eine “spontane Schnapsidee” erschien, hatte das Ganze schon eine längere Vorgeschichte. Vergeblich hatten sich die Hauptgründerinnen nach einer Möglichkeit, in einer Verbindung aktiv zu werden, umgesehen. Über das übliche Maß der Beteiligung als Salatproduzentinnen oder der Tanzpartnerinnen für die Herren der Schöpfung ging dies nie hinaus. Der Wunsch nach Lebensbund und Lebensschule blieb unerfüllt. Einige der späteren Gründungsschwestern zeigten schon Jahre im voraus bei Faschingsbällen durch ihre eindeutige Kostümierung oder bei der Erfindung von Zirkeln, mit denen sie ihren Namenszug in den Gästebüchern wohllöblicher Herrenverbindungen ver(un)zierten, deutliche Symptome.

Unser erstes Couleursemester gestaltete sich überaus arbeitsreich. Die Gründerinnen waren vollauf beschäftigt, sich Wissen über verbindungsstudentische Bräuche anzueignen, einen ersten eigenen Comment zu erstellen (und damit sind nicht ausschließlich Trinkgelage gemeint, wir waren damals durchaus vielseitiger), Semesterpläne, Wappen und anderen wichtigen Utensilien in mühevoller Handarbeit zu fertigen. So blieben wir im Wintersemester 1985/86 noch unter uns. Immerhin standen wir ziemlich allein auf weiter Flur. Name und Zirkelfindung – einige von uns hatten ja schon Übung – waren dabei nicht das Schwierigste! Um dem Deutsch-Germanentum der Studentenverbindungen etwas entgegenzusetzen, orientierten wir uns bewusst am klassischen Altertum. Neben Lysistrata gab es noch zwei weitere Vorschläge. Einer davon war Helikonia, nach Helikon, dem Sitz der Musen, der andere ist mir nicht mehr in Erinnerung, da der Zettel mit den Namensvorschlägen nach der Wahl als Altpapier entsorgt wurde, auch ein Umgang mit Geschichte! Musen wollten wir nicht sein, so fiel die Wahl durch demokratische Abstimmung auf die streitbare Lysistrata, die uns als Identifikationsfigur geeignet erschien. Ebenso bereiteten die Farben und die Couleur die geringsten Probleme. Auch wenn unsere erste Fahne (heute ziert sie bei Kneipen den Chargentisch) aus Österreich stammt, steht unsere Farbwahl, rot-weiß-rot, im direkten Zusammenhang mit den Berliner Stadtfarben. Die schmeichelhafte Annahme, dass das dreifarbige Band der Bundesschwestern und das zweifarbige Fuxenband des öfteren als eine bewusste Verkehrung des üblichen studentischen Brauchs erscheint, muss ich enttäuschen: Pure Unwissenheit. Immerhin hatten wir Gründerinnen nie Fuxenstunden! Diverse einschlägige Literatur, Befragung befreundeter Verbindungsstudenten waren alles, was wir hatten. Wir mussten alles können und wissen, oder zu mindest so tun als ob.

Versuche einer engeren Beziehung zu den noch lebenden Mitgliedern des Deutsch Akademischen Frauenbundes (DAF 1909 schwarz-silber), der um 1933 suspendierte, kamen nie recht zustande. Das beiderseitige Schockerlebnis auf dem Festkommers unseres ersten Stiftungsfestes saß zu tief. Eine Vertreterin hatte uns besucht und war von unserem Comment wenig angetan, denn er schien recht zackig und orientierte sich an den bestehenden Verbindungen. Beim DAF war doch alles ganz anders, und überhaupt war man sehr sozial engagiert gewesen. Verständnislosigkeit auf beiden Seiten. Wir waren jung und wussten es nicht besser; eine verpasste Chance. Schade! Dennoch besuchte uns eine andere Dame dieses Verbandes regelmäßig, und diese schien sich an unserer zackigen Andersartigkeit nicht zu stören. Mit ihrem Tod brach der Kontakt zu den übrigen Damen völlig ab.

Berlin, Ort unserer Alma mater, spielte auch bei der Findung einer adäquaten Melodie unseres Bundesliedes eine bedeutende Rolle. Die Melodie ist dem Berliner Burschenlied entlehnt. Der Text kam über mich in die Verbindung. Die Gründungsschwestern hatten noch ein anderes Selbstverständnis. Obwohl wir damals auch sehr beflissen waren, uns keine Blößen zu geben, bereitete uns der offene Umgang mit den Realitäten überhaupt keine Probleme. Dies zeigten wir deutlich durch den lauten Sang der ersten Strophe unseres Bundesliedes, über die heute einige Bundesschwestern wohl lieber das Mäntelchen der Verschwiegenheit decken. Ich habe das nie verstanden. Wie oft bekamen Herren anderer Verbindungen von uns höflich, aber bestimmt zu hören: “Schön, bei Ihnen mag dies so sein, wir machen es eben anders und wollen damit eine eigene Tradition begründen!” Vielleicht liegt uns aber auch einfach der Umgang mit der Geschichte nicht. So weit ich weiß, haben wir auch keine Historikerin in unserem Bunde. Die Entscheidung, Schleifen anstelle von Bändern zu tragen, war durch die drei Jahre vor uns in Freiburg entstandene Merzhausia beeinflusst. Dies änderte sich aber schon innerhalb der ersten beiden Semester. Bänder sind auffälliger und passten besser zu unserem Selbstverständnis. Die Kopfbedeckung: fesch und frech sollte sie sein, daher auch klein und rot, jedoch keinesfalls verwechselbar mit der Dienstkleidung des S-Bahnpersonals. Obwohl wir schon in unserem Fünf-Frauenbund drei Chargierte hatten, gab es keine strenge Aufgabentrennung im späteren Sinne.

Im anschließenden Sommersemester 1986 feierte die Lysistrata mit einem Sektumtrunk ihr coming out. Ich muss gestehen, dass mir nach dem sechsten Anruf am Nachmittage vor dem großen Ereignis, der uns jede Menge Vertreter der verschiedensten Verbindungen ankündigte, ziemlich flau zumute war. Schließlich standen uns damals ja nur ein Raum und die Küche meiner Wohnung zur Verfügung, und ich vertrat als Seniora die Verbindung. Unsere Bedenken zerstreuten sich jedoch sehr schnell, als wir erkannten, dass trotz der Enge 40 Gäste unterzubringen waren. Zur allgemeinen Erheiterung erscholl schon bald vielerorts der Ruf “F Ackermann”. Dieser Erfolg konnte noch durch das erste Stiftungsfest, das wir auf dem Hause des Corps Teutonia feiern durften, gesteigert werden. Mittlerweile tranken die Bundesschwestern unter anderem auch Bier, nachdem sich Schorle auf unserer ersten Kneipe als kompletter Flop erwiesen hatte. Dafür hatten wir aber eine Bierkapelle, meine Mutter. Sie war entsetzt!

Aber zurück zu unserem ersten Stiftungsfest. Hier bahnten sich nun auch Kontakte zu anderen Verbindungen an, von denen uns einige nicht nur aus purer Neugier und Sensationslust besucht hatten, und die uns in den ersten Jahren unseres Bestehens in unterschiedlichster Weise mit Rat und Tat zur Seite standen. An dieser Stelle sollte der Einsatz einiger engagierter und mutiger Herren der Corps Teutonia und Berolina erwähnt sein, die wegen der großzügigen Überlassung ihrer Räumlichkeiten “in den Schwarzwald” geschickt wurden. Aber nicht nur die jungen Lysistratinnen profitierten von der Erfahrung anderer. So lernten die Herren einer Sängerschaft Germania und die Herren eines Corps Guestphalia neue Bräuche z. B. den Jägersalamander kennen und erfuhren dabei gleich, welche grausamen Folgen dies für Ungeübte hatte.

festgehalten durch Gründungsschwester Schulz, 2000